Männerseminar: „Eigene Bedürfnisse in der Abstinenz wahrnehmen und durchsetzen“ (20.-22.09.24)

Und wieder einmal kann ich euch von einem gelungenen Wochenende berichten. Am Freitag 20.09.2024 trafen sich 21 Teilnehmer aus neun Freundeskreisen zum diesjährigen Männerseminar in Seifhennersdorf. Vertreten waren die Freundeskreise aus Hoyerswerda, Bautzen, Niesky, Kamenz, Ebersbach-Neugersdorf, Döbeln, Radebeul, Plauen und Zittau. Die zum Teil erheblichen Wege, welche von den Teilnehmern in Kauf genommen werden (z.B. FK Plauen: über 250km) beweisen immer wieder, wie wichtig diese Veranstaltungen für alle sind.

Für mich war es ja das erste Männerseminar und entsprechend groß war meine Neugier. Wieder traf ich auf alte Bekannte. Zu jedem Seminar kommen aber auch neue Mitglieder. Das freut uns natürlich ganz besonders, da sich hinter jedem neuen Gesicht auch eine neue Geschichte, neue Denkweisen, Erkenntnisse und Lösungswege verbergen. Damit sind diese Teilnehmer mindestens genauso wertvoll wie die ‚‘alten Hasen‘.

 

 

 

Um das Wochenende optimal zu nutzen, begannen wir bereits am Freitag mit der Arbeit. Nach der Anreise wurden kurz die Formalitäten erledigt, das Zimmer bezogen und 19:00 war Treff im Seminarraum. Von den Seminarleitern Matthias Sanftleben und Mirko Schober wurden wir herzlich begrüßt. Dann die obligatorische Vorstellungsrunde, wir wollen schließlich wissen mit wem wir’s zu tun haben - und schon war scharfer Start.

 

 

Alle wurden einmal gebeten ihre Abstinenzjahre anzugeben. Die bewegten sich zwischen ¼ und 36 Jahren. Dabei kam eine Gesamtabstinenz von 211 Jahren zusammen. Das ist eine stolze Zahl, ergibt sie doch immerhin einen Ø von ca. 10 Jahren/Person. Wenn man den länger abstinenten Teilnehmern aufmerksam zuhört erkennt man, dass diese meist auch ständig aktiv im Selbsthilfeprogramm unterwegs sind. Daraus kann ich für mich nur den Schluss ziehen, dass ich mit meinem Engagement in der Gruppe auf dem richtigen Weg bin.

Dann wurde die Frage geklärt, ob es Einwände gegen eine Frau als Dozentin zum Männerseminar im nächsten Jahr gibt. Schließlich besteht die Möglichkeit, dass nicht jeder mit einer Frau über ‚Männerprobleme‘ reden möchte. Wir waren einstimmig der Meinung, dass das Geschlecht überhaupt kein Problem spielt. Viele Seminare finden sowieso geschlechterübergreifend statt und ich konnte noch nie erkennen, dass jemand Scheu gehabt hätte seine Gedanken zu äußern. Man sollte bei diesen Überlegungen allerdings nicht vergessen, dass es ja nicht umsonst reine Männer- bzw. Frauenseminare gibt.

Anschließend gab es noch eine angeregte Diskussion zum diesjährigen Thema und was sich der Einzelne darunter vorstellt bzw. davon erwartet. All das in 1h gepackt zeigt, dass so ein Seminar keine Spaßveranstaltung, sondern echte Arbeit ist.

 

 

 

Am Samstag ging es um 09:00 weiter. Zum diesjährigen Thema war Hr. Janovic als Dozent geladen. Seine Tätigkeit als Therapeut in Thüringen und jetzt in der Diakonie Hoyerswerda ließen ihn auf einen reichen Erfahrungsschatz zurückgreifen, den er seinen Ausführungen immer wieder durchblicken ließ. Dadurch konnte er seinen Vortrag recht kurzweilig und für alle nachvollziehbar gestalten. Alle waren ganz Ohr und durften Fragen stellen bzw. eigene Erlebnisse und Gedanken einfließen lassen.

Er behandelte folgende Punkte:

    1. DIE Männerrolle

    2. cool & trinkfest

    3. Beziehung zum eigenen Vater

    4. Männerfreundschaft

    5. Beziehung zu Frauen

    6. männliche Gesundheit

    7. Arbeit & Freizeit

    8. Sexualität

    9. Gewalt und Hilflosigkeit

    10. Vaterschaft

    11. Emotionalität

 

 

 

In so einem Bericht kann ich natürlich niemals alle Punkte so detailliert behandeln, wie das im Seminar tatsächlich der Fall war. Nichtsdestotrotz habe ich immerhin versucht, die wichtigsten Erkenntnisse zu den einzelnen Positionen im Anhang wiederzugeben. Allein das genannte führt uns vor Augen, wie viel so ein Vortrag dem Teilnehmer bringen kann, was er mit in die Gruppendiskussionen nehmen oder für sein Privatleben lernen kann. Wer sich wirklich dafür interessiert, sollte unbedingt einmal an einer solchen Veranstaltung teilnehmen.

Nach der wohlverdienten Mittagspause war Kleingruppenarbeit angesagt. Vier Teams machten sich Gedanken zu den Problematiken: 1.) „Was kann ich heute tun, was ich früher nicht konnte?“, 2.) „Was sind Bedürfnisse, was sind Ziele?“, 3.) „Wie gehe ich mit Rückfällen um?“ und 4.) „Wie nehme ich meine Umwelt wahr bzw. wie nimmt meine Umwelt mich wahr?“

Zu allen Punkten gab es einen intensiven Gedankenaustausch. Fast alle hatten zu den Fragestellungen eine eigene Meinung. Manche Ansichten deckten sich mit der breiten Allgemeinheit, aber auch ziemlich individuelle Gedanken wurden geäußert. Eine ganz besonders intensive Debatte entbrannte zum Umgang mit Rückfällen. Eine Patentlösung konnte dafür nicht formuliert werden. Jeder Fall muss einzeln bewertet und behandelt werden. Der Samstag allein reichte jedenfalls nicht, um alle Fragestellungen in dieser Runde erschöpfend zu behandeln.

 

Abends trafen sich die Teilnehmer an der Feuerstelle. Private Themen waren da genauso an der Tagesordnung wie der Erfahrungsaustausch zum Umgang mit Problemen in den einzelnen Gruppen der Freundeskreise.

Der Sonntag begann mit einem zum Thema passenden Gedicht, vorgetragen von Matthias. Anschließend wurde die Diskussion vom Vortag wieder aufgenommen. Dabei stellte sich heraus, dass viele den Samstagabend auch genutzt hatten, um sich weitere Gedanken zu den Fragestellungen vom Vortag zu machen. Ich hatte jedenfalls den Eindruck, dass wir problemlos noch einige Stunden hätten überziehen können, ohne dass Langeweile aufgekommen wäre. Doch gegen Mittag nahte leider das Ende. Jedes Mitglied bekam noch einmal die Gelegenheit, in ein paar Worten seine persönlichen Eindrücke und Erkenntnisse zum Wochenende darzulegen. Auch die beiden Seminarleiter ließen die gesamte Veranstaltung noch einmal Revue passieren und verloren ein paar Worte zur Organisation eines solchen Events. Demnach können wir die Arbeit aller an den Vorbereitungen beteiligten Personen gar nicht hoch genug bewerten. An dieser Stelle möchte ich ihnen im Namen aller Anwesenden ein dickes ‚Dankeschön‘ aussprechen.

Fürsorglichkeit, Empathie und Sensibilität sind nicht nur femininen Eigenschaften, sondern auch männliche.“ (Markus Keimel)

Mit diesem Zitat, das ich zwar etwas abgewandelt habe (ich finde aber so passt es besser zu den Erkenntnissen dieses Seminars) möchte ich nun enden und noch einmal auf den Anhang verweisen.

Uwe Schütze

 

Anhang:

eine Zusammenfassung der wertvollsten Erkenntnisse zu den behandelten Punkten:

 

                            

1.) „Die Männerrolle"

 

                               Was versteht man denn eigentlich unter der ‚traditionellen Männlichkeit‘? Da war die Rede von körperlicher Stärke, Härte nach außen aber auch sich selbst gegenüber, dem Gefühl der Unverwundbarkeit, Führungsstärke oder Konkurrenzdenken untereinander. Aber auch breite Schultern zum Anlehnen, die Rolle als Beschützer und Ernährer der Familie, Leistungsbereitschaft und Potenz wurden erwähnt und ausgiebig diskutiert.

 

2.) „cool & trinkfest“

 

                               Das Trinkverhalten wurde oft sportlich gesehen. Eigene Unsicherheiten konnten überspielt und das Selbstwertgefühl gesteigert werden, da man sich ja beim Trinken einer Gruppe zugehörig fühlte. Nicht zu vergessen, dass man sich beim ersten Alkoholgenuss bereits als Erwachsener fühlte obwohl man in Wirklichkeit noch fast ein Kind war. Unter dem Einfluss von Suchtmitteln hatten wir den Eindruck, unsere Gefühle, Meinungen und Stimmungen viel besser rüberbringen zu können. Rückblickend bin ich mir ziemlich sicher, dass ich damals viele Situationen zumindest teilweise gar nicht richtig erfassen konnte und meine Äußerungen von der Umwelt bestenfalls zur Kenntnis genommen aber kaum berücksichtigt wurden.

 

3.) „Beziehung zum eigenen Vater“:

 

Welche Vorbildrolle hatte denn der Vater für uns? Welche unserer Bedürfnisse konnte er erfüllen? Hatten wir ein super Verhältnis zu ihm oder hatte die Mutter eher die Hosen an? War er überhaupt psychisch in der Lage seine Rolle zu erfüllen oder gar gewalttätig? Viele waren Scheidungskinder und konnten beide Elternteile gegeneinander ausspielen. All diese Aspekte, und mit Sicherheit noch viele mehr, haben uns geprägt. Manchmal beutet das, dass wir vorgelebte Verhaltensweisen übernommen haben (Modelllernen), aber auch das ganze Gegenteil konnte der Fall sein. So konnten sich beispielsweise Trinkgewohnheiten einschleichen oder Aversionen gegen Gewalt in uns manifestieren.

 

4.) „Männerfreundschaft“

 

                             in der Vergangenheit wurde die Zweckgemeinschaft unter Saufkumpanen als Freundschaft fehlgedeutet. Zwar gab es auch in diesen Kreisen kleine Hilfeleistungen, doch was man in einer echten Freundschaft geboten bekommt, konnte von denen kaum einer erbringen. Es wurde aber auch deutlich, dass wirkliche Männerfreundschaften seltener sind, als die unter Frauen. Umso wertvoller sind sie, wenn Männer tatsächlich einmal in ein ‚tiefes Loch‘ fallen und Hilfe in Rat oder Tat benötigen.

 

 

5.) „Beziehungen zu Frauen“

 

                             Durch unsere Sucht wurde die Beziehung zur Partnerin (Partner) meist erheblich gestört.Die Frau übernahm allein Verantwortungen die eigentlich auf zwei Paar Schultern verteilt worden wären. Sie erledigte typische Männerarbeiten (z.B. handwerkliche Tätigkeiten). Auf gar keinen Fall darf man vergessen, dass sie eigentlich fast immer in eine Co-Abhängigkeit gezogen wurde und darunter zu leiden hatte. Auch der gegenseitige ging Respekt verloren.

 

6.) „männliche Gesundheit“

 

                             Dieses Thema wurde mit dem Satz „Was von selber kommt, geht auch von selber wieder weg“ umschrieben. Allein das Reden über die eigene Krankheit fällt Männern schwerer als Frauen. Das Zugeben von Defiziten des Körpers könnte schließlich als Schwäche ausgelegt werden. Bestimmte Emotionen (ob positive oder negative) können von vielen Männern gar nicht präzise benannt werden. Dadurch gelingt es ihnen oft nicht einmal ihre psychische Gesundheitslage richtig einzuschätzen. Das führt dann auch zur Selbstüberschätzung mit all den Risiken für die Gesundheit.

 

 

7.) „Arbeit & Freizeit“

 

                             Dieser Punkt ist eng mit der ‚männlichen Gesundheit‘ verknüpft. Viele Männer neigen dazu sich Hobbys zu suchen, die sehr arbeitsaufwändig sind und dadurch die tatsächliche Freizeit viel zu kurz kommt oder organisieren sich in Vereinen in den der Alkohol sehr präsent ist (Sport, Feuerwehr usw.)

 

8.) „Sexualität“

 

                               Probleme in der Sexualität kommen selbst in Gesprächen unter Männern viel zu kurz. Über das von den Medien vorgegaukelte Bild wird dagegen sehr oft gesprochen. Da dieses aber von Fantasien und Übertreibungen geprägt ist, bieten diese Unterhaltungen absolut keine Hilfe bei der Lösung von eigenen Problemen. Kaum einer traut sich wirklich, seine eigenen Schwierigkeiten anzusprechen.

 

9.) „Gewalt & Hilflosigkeit“

 

                             Unter Alkoholeinfluss sinken die Hemmschwellen und die Konfliktfähigkeit, durch schnelle Überforderung mit der jeweiligen Situation. Das führt zunächst zu verbaler Gewalt in Form von Beleidigungen und kann dann auch schnell in körperliche Gewalt ausarten. Diese findet leider häufig nicht nur unter Männern statt. Sie kann sich, vor allem in Familien, auch gegen Frauen und Kinder richten. Das ist oft auf prägende Erlebnisse aus der eigenen Kindheit zurückzuführen (Modelllernen), was allerdings auf keinen Fall als Ausrede herhalten soll. Meistens sind der Alkohol und der damit verbundene Kontrollverlust schuld - und damit jeder Konsument selber!

 

10.) „Vaterschaft“

 

                               Obwohl die meisten Männer durchaus gute Väter sein wollen, verhindert die Sucht dieses Bestreben. Kinder verlangen meistens viel Geduld, welche aber im Rausch gar nicht mehr aufgebracht werden kann. Es gibt auch Männer, denen gute Vaterschaft nie vorgelebt wurde, da bereits der eigene Vater getrunken hat.

 

11.) „Emotionalität“

 

                             Um auf Emotionen passend zu reagieren oder diese entsprechend auszuleben, müssen sie überhaupt erst mal richtig benannt werden. Wie bereits in der ‚männlichen Gesundheit‘ erwähnt, scheitern viele Männer bereits daran. Einige Gefühle, wie z.B. Trauer, Angst oder Scham, sind für Männer Tabuthemen. Diese lassen sie schwach erscheinen. Andere, wie Wut, lassen sich unter Alkoholeinfluss nicht mehr in vernünftige Bahnen lenken und enden dann in körperlicher Gewalt. Das Erkennen und Benennen von Gefühlen und das Gespräch darüber muss von vielen Männern erst erlernt werden.

 

Wie bereits erwähnt, sind das nur einige Erkenntnisse. Viel gesagtes kann hier gar nicht aufgeführt werden, weil das den Rahmen eines solchen Berichtes sprengen würde.

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