2.Betroffenenseminar: „Freiheit von Sucht“

Es ist noch keine zwei Monate her und schon kann ich euch wieder aus dem ‚Querxenland‘ in Seifhennersdorf berichten. Auch diesmal habe ich mich schon lange darauf gefreut. Die Anlage ist schön, einige Teilnehmer kenne ich bereits von den letzten Seminaren und habe sie schätzen gelernt.

17:45 gab es die übliche Einführungsrunde mit ein paar organisatorischen Informationen und um 19:00 konnte das Seminarwochenende starten.

Wie üblich, stellten sich die Teilnehmer und ihre Vereine vor. Anwesend waren insgesamt 25 Personen, 4 davon waren Angehörige von Suchtkranken. Es wurden schon einmal einige Problematiken angesprochen, welche in den jeweiligen Gruppen in letzter Zeit aufgetreten sind. Ein Thema war z.B. der Umgang mit anderen Suchtarten, wie etwa Drogen-, Medikamenten- oder Spielsucht. Diese wurden früher anscheinend strikt von der Alkoholsucht getrennt. Da andere Süchte auch andere Probleme mit sich bringen, sind einige Gruppen für den Umgang mit den Betroffenen gar nicht adäquat gerüstet. Und so kam auch folgerichtig der Vorschlag, doch wieder einmal ein Seminar abzuhalten, in dem nicht ausschließlich der Alkohol, sondern auch weitere Suchtarten oder gar das Zusammenfallen mehrerer Süchte (Polytoxie) behandelt werden. Es gab auch schon erste Anregungen zum diesmaligen Thema. Ich versuche mir ja im Vorfeld so wenig Gedanken zum jeweiligen Thema zu machen, wie möglich. Dadurch fällt es mir leichter, offen für alle Richtungen zu bleiben. Andere halten das etwas anders und können dafür gleich bei der ersten Zusammenkunft ein paar Denkansätze liefern, auf die man aufbauen kann. Diese mitunter komplett anderen Herangehensweisen der einzelnen Teilnehmer ist meiner Meinung nach auch einer der ganz großen Vorteile solcher Seminare. Alle können dadurch sehr viel voneinander lernen.

Der erste Tag fand seinen Ausklang mit dem Besuch einer Eisdiele. Diese gemeinsame Unternehmung gleich am ersten Abend ist eine schöne Tradition der sich niemand entzieht und die man gleichzeitig als ‚teambildende Maßnahme‘ bezeichnen kann. Mir hilft sie jedenfalls immer wieder, mit den anderen Teilnehmern warm zu werden - mich schon mal ein bisschen auf sie einzustimmen.

 

 

Am Samstag widmeten wir uns dann dem Hauptthema „Freiheit von Sucht“. Die beiden Therapeutinnen Fr. Forst und Fr. Morgenstern von der Suchtberatungsstelle Radebeul stellten sich vor und übernahmen für den Vormittag die Gestaltung des Seminars. Sie vermittelten uns Wissen indem sie uns zum großen Teil in ihre Ausführungen einbezogen. So entbrannte eine angeregte Diskussion zu der Frage was ‚Freiheit‘ überhaupt ist. Man glaubt gar nicht, wie viele Aspekte die einzelnen Teilnehmer mit diesem Begriff verbinden. Da war von neuen Freiheiten die Rede, welche sich allein dadurch ergeben, dass der Alkohol unser Leben nicht mehr einschränkt. Man hat mehr Zeit sich anderen Dingen zu widmen. Man ist befreit von Zwängen welche der Alkohol uns auferlegt hat (von der Beschaffung bis zu den Nachwehen). Manchmal hat man sich im Rausch Probleme eingehandelt weil man sich (mal vorsichtig ausgedrückt) nicht immer korrekt verhalten hat. Ich habe mich auch sehr oft dadurch einschränken lassen, dass mir andere ihre Meinung auf die Nase gedrückt haben. Irgendwann habe ich dann generell auf die Freiheit einer eigenen Meinung verzichtet und einfach alles hingenommen. Mit diesem Problem hatten viele zu kämpfen. Bei anderen stand die eingeschränkte Freiheit in der Partnerschaft und der Familie im Vordergrund. Einige fühlten sich im Arbeitsleben eingeengt. So ziemlich alle, genießen die neue Freiheit ihre Freizeit wieder selbst gestalten zu können. Diskutiert wurde aber auch über Politik und die damit verbunden Einschränkungen. Beschnittene Freiheiten die wir alle von der Gesellschaft aufgedrückt bekamen waren ebenso ein Thema wie die Freiheit von toxischen Beziehungen, Kontrollverlust, dem ewigen Ja-sagen, der Befreiung aus dem ‚Hamsterrad‘, die neue Freiheit Gefühle zulassen zu können u.v.a. mehr. Vergessen darf man dabei aber auf gar keinen Fall, dass die neu gewonnenen Freiheiten auch Pflichten mit sich bringen. All diese Erkenntnisse hätte ein Einzelner an einem ganzen Tag nicht zusammentragen können. Dieses gesammelte Wissen verdanken wir nur intensiver Gruppenarbeit und der fachkundigen, trotzdem kurzweiligen Führung durch die beiden Referentinnen.

Nach einer kurzen Pause wurde dann darüber gesprochen, an wen man sich als Betroffener am besten mit seinen Suchtproblemen wenden kann, wem man sich wie weit öffnen kann und überhaupt will. Manch einem gelingt das im engsten Familienkreis (Eltern, Partner, Kinder oder Geschwister). Andere (auch ich) finden dort zwar einen großen Rückhalt, aber darüber reden, was einen am meisten beschäftigt, fällt schwer. Vielleicht liegt das ja daran, dass diese Personen durch ihre Co-Abhängigkeit zu sehr mit im Strudel der Sucht gefangen waren und teilweise auch noch lange nachher sind. Es war interessant unsere einzelnen Verhaltensweisen und deren Folgen auch mal aus Sicht der Angehörigen dargelegt zu bekommen. Das hat uns wieder einmal deutlich vor Augen geführt, dass ihre Freiheiten genauso vielschichtig eingeschränkt waren und mit welchen Ängsten und Sorgen sie zu kämpfen hatten. Es ist uns absolut unverständlich, wieso ihnen trotz allseits bekannter Faktenlage Therapieangebote, wie sie für Betroffene selbstverständlich sind, verweigert werden. Viele finden bei Freunden, Kollegen, Ärzten, Therapeuten, Pfarrern und anderen mehr oder weniger nahe stehenden Menschen ein offenes Ohr. Aber alle waren sich darüber einig, dass sie sich in den einzelnen SHG’s jederzeit und ohne Scheu zu allen sie betreffenden Themen äußern können und dort auch den dringend benötigten Rückhalt bekommen. Auch bei dieser Kenntnisfindung war uns die sachkundige Beratung von Fr. Morgenstern und Fr. Frost eine große Hilfe.

Anschließend war Kleingruppenarbeit angesagt. Die einzelnen Gruppen wurden so gestaltet, dass sich in jeder auch ein Angehöriger eines Suchtkranken befand. Dadurch konnten noch einmal die Probleme der Vergangenheit, aber auch noch heute (z.T. nach vielen Jahren Abstinenz) existierende Schwierigkeiten aus der Sicht der Partner dargestellt werden. Im kleinen Kreis konnten die Beteiligten ihre Schicksale viel differenzierter darstellen, wodurch ein noch offenerer Gedankenaustausch stattfand. Es wurden die am Vormittag behandelten Themen noch einmal durchgesprochen und jeder konnte die speziell für seine Person geltenden Punkte benennen und darlegen, wie er oder sie die dazugehörigen Parallelen im Alltag erlebt hat. Abschließend machten wir uns Gedanken über Themen, für zukünftige Seminare. Da wurde z.B. „Umgang mit Betroffenen anderer Suchtarten“, „Partnerschaft und Sucht“ oder auch „Lebensqualität nach der Sucht“ favorisiert.

Am Abend fand das obligatorische Grillen statt. In gewohnt routinierter Manier sorgten Wolfgang und Jürgen dafür, dass Bratwurst und Steak perfekt auf die Teller kamen. Kartoffel- und Nudelsalat rundeten das Menü ab. Frisch gestärkt konnten wir uns den Abendaktivitäten widmen. Dank der Vorbereitung von Klaus wurde ein kleines Skatturnier abgehalten. Ralph konnte kaum glauben dass, und vor allem wie er gewinnen konnte. Einige unserer Frauen hatten, teilweise unüberhörbar, Spaß am Rommé-Spiel. Dank des schönen Wetters zogen andere den Aufenthalt an der frischen Luft vor und konnten sich in aller Ruhe den verschiedensten Gesprächsthemen widmen.

Wie immer, mussten am Sonntag die Zimmer bis 09:30 geräumt werden. Anschließend ging es in die letzte Runde.

Gleich zu Beginn konnten wir alle unserer Maria zum Geburtstag gratulieren. Ich denke, wenn jemand an seinem Ehrentag die Strapazen eines Seminarbesuchs auf sich nimmt und die Gesellschaft der Beteiligten sucht, spricht das von persönlichem Enthusiasmus, der Qualität dieser Veranstaltungen und den großen Sympathien welche unter allen Anwesenden herrscht.

Zur Einleitung verlas Matthias danach ein paar zum Thema passende Worte. Es wurde ein kurzer Film gezeigt, welcher vom Landesverband NRW mit einigem Aufwand produziert wurde. Dieser kam super an und einige konnten darin sogar Parallelen ihrer eigenen Geschichte wiederfinden. Es fand die Auswertung der Kleingruppenarbeiten vom Vortag statt und die Ergebnisse wurden zur Diskussion gestellt. Zum Schluss gab es noch ein paar Worte von Matthias und Ralph zur Organisation des Landes- bzw. Bundesverbandes und über den Fortschritt der Gestaltung unserer Website.

Das obligatorische Gruppenfoto, ein paar kurze Worte aller Beteiligten zur Bewertung dieses Wochenendes - und schon war alles wieder vorbei. Nach dem Mittagessen gab es herzliche Verabschiedungsszenen. Ich denke viele sind in Gedanken bereits beim nächsten Seminar und freuen sich genau wie ich auf alte und neu gefundene Freunde ebenso, wie auf neue Gesichter mit all ihren Facetten, Geschichten und Ideen.

Mit ein paar Worten aus dem gezeigten Film möchte ich meinen Bericht nun beenden.

Empathie statt Bestrafung – Zuhören statt Vorwürfe“

Hoffentlich machen sich viel mehr Menschen diese Denkweise zu Eigen und verschaffen damit allen anderen die so dringend benötigten ‚Freiheiten‘!

Uwe Schütze

 

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